Wir schätzen nicht was wir haben, bis es weg ist. So ist die Freiheit. Sie ist wie Luft. Wenn man sie hat, dann bemerkt man sie nicht.
– Boris Jelzin
Heute erwartet Euch ein inspirierender Gastbeitrag meiner Leserin Jeanine. Sie ist Mama einer kleinen Tochter und von Beruf Marketingfachkauffrau. Sie schreibt normalerweise aus ihrem Homeoffice Texte für die Möbelbranche. Seit drei Monaten verzichtet Sie auf ihr Handy. Wenn ihr wissen wollt wie es dazu kam und welche Freiheiten Jeanine dadurch gewonnen hat, dann lest weiter.
Mit 16 kaufte ich das erste Handy. Heimlich natürlich. Im Zimmer in der Souterrainwohnung meines Elternhauses konnte ich es nur am linken äußeren Eck des Fensters nutzen. Jede SMS, jeder Anruf – ich war so stolz darauf endlich auf einer eigenen Nummer erreichbar zu sein. Mein Handy und ich waren jahrelang ein Topteam. Im Beruf besonders und mindestens genauso wichtig war mir diese stete Erreichbarkeit im Privatbereich.
15 Jahre später, nach etwas genauso viel Tausend SMSen und wer weiß wie vielen Telefonminuten, entscheide ich mich gegen mein Handy. …
…Mein Smartphone begann „zu spinnen“. Die Software lud nicht, ich konnte nicht auf gängige Nachrichtenprogramme zurück greifen. On top konnte ich das Gerät auf 100 Prozent Akkuvolumen laden und binnen zwei Minuten mit einem einfachen Telefonat wieder entladen. …
Seit drei Monaten läuft nun der Reklamationsprozess mit dem Hersteller und einem Servicedienstleister desgleichen, der mich schon viele graue Haare und vor allem: wertvolle Zeit gekostet hat.
Seit drei Monaten läuft nun der Reklamationsprozess mit dem Hersteller und einem Servicedienstleister desgleichen, der mich schon viele graue Haare und vor allem: wertvolle Zeit gekostet hat.
Doch auch etwas Positives sprang für mich heraus. Etwas immaterielles. Nämlich: Verbindlichkeit. Achtsamkeit. Wichtigkeit. Zeit – Wertzeit.
Nach wenigen Wochen hatte ich mich daran gewöhnt, nicht mehr auf dem Spielplatz geschäftliche Gespräche zu führen. Nicht mehr den Drang zu verspüren, jedes Foto, das ich von meiner Tochter geschossen hatte, direkt weiter zu schicken und mich ganz nebenbei über eine schlechte Internetverbindung zu ärgern. Zu Hause nicht mehr ständig auf das Gerät zu schauen, um sicherzustellen, dass ich auch nichts wichtiges verpasse. Treffen nicht mehr unflexibel und unverbindlich zu vereinbaren und das gewohnte „wir können uns ja zusammentelefonieren“ am Gesprächsende zu vermerken.
Ich bin ruhiger geworden. Konzentriere mich auf das Wesentliche und bin von Zeit zu Zeit geschockt darüber, welche Macht das Handy über einen jeden von uns hat. Ist Macht ein zu hartes Wort? Beobachte Dich doch einfach selbst: wie oft holst Du innerhalb eines Treffens mit Deinen Freunden Dein Handy aus der Tasche. Wie oft checkst Du Nachrichten und Anrufe. Wie oft loggst Du Dich ins Internet ein oder wie selbstverständlich ist eine Internetflat für Dich geworden? … Wie viel ist uns unser Gegenüber wert, wenn es so selbstverständlich geworden ist, ganz multi-tasking-like, alle anderen Alltäglichkeiten des Lebens, by the way, mit zu erledigen?
Nun, flexibel bleibe ich. Innerhalb eines Rahmens, den ich mir und den Menschen die mir wichtig sind einräume. Verbindlicher bin ich geworden. Eine Verspätung von mehr als 10 Minuten ist nun nicht mehr aus Luxusgründen drin. Multi-Tasking kann ich. Dennoch genieße ich es, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Erreichbar bleibe ich. Festnetz, E-Mail und Facebook tun mir hier gute Dienste. Organisiert bin ich mehr denn je. Nummern muss ich mir merken, Zeit genau planen. Persönlicher ist es geworden: man redet mit mir und schreibt mir keine übereilten Nachrichten mehr. Ich erfahre so viel mehr, weil ich direkt nachfragen kann und Antworten erhalte.
Notfälle. Ja, ich finde, es gibt Gelegenheiten in denen auch ich auf ein Handy nicht verzichten möchte. Auch wenn die einzige Autopanne die ich bisher hatte, mitten im Wald passierte und ich doch auf eine fremde Autofahrerin angewiesen war, die bei nächster Gelegenheit einen Anruf für mich tätigte.
Das Handy meines Mannes wird mich also begleiten – im Auto – für den Notfall. Aber sollte an der Kasse neben mir ein Klingeln ertönen, so kann ich ganz beruhigt meine überbeladenen Arme ruhen lassen. Mein Handy verweilt in Frieden, …
Das Handy meines Mannes wird mich also begleiten – im Auto – für den Notfall. Aber sollte an der Kasse neben mir ein Klingeln ertönen, so kann ich ganz beruhigt meine überbeladenen Arme ruhen lassen. Mein Handy verweilt in Frieden, …
Wunderbar… Ich habe mir auch schon öfter überlegt, mein Smartphone gegen ein einfaches, „altes“ Handy einzutauschen. Die Erreichbarkeit via Telefon möchte ich nicht missen, aber die ständige Möglichkeit, im Netz nach Neuigkeiten zu schauen (speziell Facebook und Mails) empfinde ich zunehmend als Belastung. Irgendwie seltsam, oder? Man muss sich eine andere Hardware zulegen, nur um etwas nicht mehr tun zu können. Mein Freund meint immer: Wenn du es nicht willst, dann lass es doch einfach! Mir fehlt da seine Disziplin. Dieser Artikel hat mich ermutigt, diese kleine Herausforderung jetzt mal anzunehmen, wenigstens für eine bestimmte Zeit. Vielen Dank also dafür.
LG,
Erika
SO wahr, wie oft ertappe ich mich selber dabei, das ich immer und immer wieder aufs Handy schaue,ob ne neue Mail, oder aber ne neue Nachricht drauf ist. Wenn ich so drüber nachdenke, wäre es vielleicht auch nicht schlecht es einfach mal in der Küche liegenzulassen und nicht immer mit rumzuschleppen.
Werde mir das wohl durch den Kopf gehen lassen, für mich wäre es besser, nicht so „“Abhängig“ zu sein.
Danke Jeanine für deinen Gastbeitrag.
Liebe Grüße Bianca
Liebe Jeanine, liebe Sue,
klasse Beitrag, der zum (nach)denken anregt. Ich glaube, eine Smartphone-freie-Zeit würde vielen – auch mir – sehr gut tun… Mal sehen, wie sie sich umsetzen lässt.
Viele Grüße,
Hannah
Liebe Jeanine, besten Dank für diesen tollen Erfahrungsbericht!
Vor vierzig Jahren hat der britische Ökonom J.F.Schuhmacher das Buch „Small Is Beautiful: A Study of Economics As If People Mattered“ geschrieben. War lange Bestseller und wurde fast zum Kultbuch: die Idee, dass nicht immer alles grösser/kleiner oder schneller/perfekter sein muss. Lange her.
Ich finde es immer grossartig, wenn man das Loslassen einer sogenannten Errungenschft nicht als „Verzicht“ beschreibt, sondern als „Befreiung“. Und ein bisschen so habe ich Deinen Bericht auch aufgenommen.
Liebe Grüsse, Lukas
Hallo ihr Lieben,
vielen Dank für Euer Feedback. Ich habe mich sehr gefreut, dass alles so gut ankam!
Und ich freue mich, dass ich vielleicht den/die eine(n) dazu inspirieren konnte, ähnliches auszuprobieren. Es lohnt sich! 🙂
Es ist nicht seltsam Smartphone, SocialNetworks u. ä. als Belastung zu empfinden. Denn, sind wir ehrlich. Wir sind nicht irgendwann eines morgens aufgewacht und haben gesagt: Ich hätte jetzt mal richtig Lust ein Ding zu besitzen, welches mich den ganze Tag auf irgendeine Weise in Beschlag nimmt. Berufliches, gesellschaftliches und viele andere Gründe, „erzwingen“ schleichend gewisse Selbstverständlichkeiten.
Ich hatte mir, bevor ich quasi dazu gezwungen wurde, schon oft vorgenommen, eine Art „Fastenzeit“ duchzuführen. Kein Handy, kein Social Netzwerk, kein E-Mail. … aber geschafft hab ich es nie. Zu viele Ausreden. :).
Ich kann Euch daher nur ermutligen, selbige Ausreden für eine gewisse Zeit lang leere Worte werden zu lassen und es einfach mal auszuprobieren. :).
Somit kann ich sagen, Lukas, „ja, genauso war mein Bericht gemeint“.
Euch ein wundervoll befreites Wochenende :).
Liebe Grüße, Jeanine
Richtig toll, dein Artikel, Jeanine! Vielen Dank, Sue, dass du ihr die Plattform dazu gegeben hast. Ich hatte ja schon gehört von der handylosen Jeanie – wusste aber bisher nicht, wie es sich anfühlt. Ich glaube, es befreit tatsächlich. Auch wenn es sooo praktisch ist, dass ein Gerät fast alles kann, es engt auch ein. Dazu habe ich auch mal etwas geschrieben… Bei mir wandert das Smartphone ja sogar mit ins Bad – soweit sind wir schon gekommen!
Eine schöne Zeit und alles Liebe, Stephie
Ich kenne das Gefühl, wenn man nicht wirklich da ist, sondern überall gleichzeitig, vor allem im Internet, oder im Gespräch mit Geschäftspartnern, Paketdienst, Verwandten, etc.
Ich habe mich entschieden, statt einen radikalen Schnitt zu machen, lieber einen anderen Handyvertrag zu machen als bisher. (-> siehe hier). Denn verzichten kann ich auf ein Handy so wenig wie auf ein Auto. Aber jetzt benutze ich es zum Telefonieren, notfalls mal um eine Adresse herauszufinden – und nicht, um mich von der Realität abzulenken.