Fill your paper with the breathings of your heart.
– William Wordsworth
Oder: den Brief, den niemand liest. Einen Brief schreiben als Therapie nutze ich schon länger. Vielleicht sogar seit ich schreiben kann, nur war mir das damals als Eigentherapieansatz natürlich nicht bewusst. Doch seit meinem Burnout schreibe ich immer wieder Briefe. An Menschen, in meinem Umfeld. Briefe, die sie nie lesen werden. Weil ich sie nicht abschicke. Es sind Briefe, die ich aus meinen Emotionen heraus schreibe. Ohne darüber nachzudenken ob man “das so schreiben kann”, der andere “das so in den falschen Hals bekommt” oder “es nicht verständlich genug ist”. Das ist das schöne beim Brief schreiben als Therapie. Man schreibt einfach drauflos und so wie die Gedanken und Gefühle gerade kommen und gehen.
Brief schreiben als Therapie
Aus therapeutischer Sicht ist das diese Art des Schreibens äußerst heilsam. Viele Psychologen nutze diese Briefe auch um sich ein besseres Bild dessen machen zu können, was in dem Gegenüber vorgeht, gerade wenn man es schlecht in ausgesprochene Worte fassen kann. Das merke ich bei mir selbst, dass mir bei manchen Themen das Schreiben sehr viel leicht fällt als das Sprechen. Zum einen, weil einen keiner unterbricht und zum anderen weil es einfach mal wirken kann und allein stehen kann ohne kommentiert werden zu müssen. Denn im Gegensatz zum persönlichen Gespräch, muss beim Brief keine Antwort des anderen folgen – schon gar nicht, wenn man diesen Brief niemals abschickt.
Einfache Tipps zum Schreiben
Es gibt Situationen im Leben, da ärgern wir uns immer wieder über das Selbe. Über den Nachbar, dessen Hund schon wieder sein Häufchen auf unserem Gehsteig hinterlassen hat. Oder die Kollegin, die jeden Morgen mürrisch ins Büro kommt und auf keine “Guten Morgen”-Begrüßungen reagiert oder den Partner, der seit Wochen jeden Abend an der Garage an seiner Maschine schraubt und keine Zeit mehr für Zweisamkeit hat. Wir kennen das alle. An einem gewissen Punkt ist das Maß voll und wir würden demjenigen gerne mal so richtig die Meinung sagen. Das kann man dann tun, oder man kann es schreiben. Was ich immer wieder lerne ist, dass mir das Gefühl nicht der andere beschert. Das Gefühl des Ärgers, der Einsamkeit oder der Wut ist meine. Die zwängt mir niemand auf. Dieses Gefühl ist da, weil es durch etwas getriggert wird. Und weil ich es zulasse. Daher gebe ich diesen Gefühlen gerne ein Ventil, welches das Schreibens eines Briefes ist oder die offene Kommunikation. Doch heute geht es einfach mal um den Brief.
Mach Dich frei von dem Gedanken einen ordentlichen Brief schreiben zu müssen. Das Briefschreiben als Therapie hat keine Regeln. Es muss keine Anrede da sein und auch kein liebevoller Schlusssatz. Wenn wir wütend sind, dann sind “lieber xy” und “mit freundlichen Grüßen” nicht das, was wir sagen wollen. Also schreiben wir es auch nicht. Sondern frei Schnauze alles das schreiben, was raus muss. Benennen was mies läuft und wie man sich fühlt. Denjenigen im Brief anschnauzen, wie man es von Angesicht zu Angesicht nicht machen oder trauen würde. All das ist jetzt Nebensache. Wichtig ist nur, nichts drinnen zu behalten sondern alles rauszuschreiben. Wenn Du magst auch ohne Punkt und Komma, ohne Groß- oder Kleinschreibung, ohne Absätze und Grammatik. In diesem Brief ist alles unwichtig, was man im Deutschunterricht gelernt hat. Was in den Kopf kommt, wird genau so auf das Blatt gebracht. Fertig.
Das Schreiben hilft nicht nur sich allen Ballast von der Seele zu schreiben sondern auch die eigenen Gedanken zu sortieren und neu einordnen zu können. Denn in dem Moment, wo die Worte aufs Papier gebracht werden, entsteht Freiraum für neue Gedanken und Lösungsansätze. Der Stern hatte dies ebenfalls schon thematisiert.
Der fertige Brief
Da liegt er nun, der fertige Brief. Und nun? Ab damit in einen Briefumschlag und versiegeln. Ohne Porto. Ohne Anschrift. Und das Schönste kommt jetzt: den Brief vernichten. Man nehme eine feuerfeste Schale oder einen Grill(platz) und stellt sich mit dem Brief in der Hand mit dem Gewicht auf beiden Füßen gleichmäßig verteilt hin. Wem spontan ein Lied einfällt, das zu dem Moment passt, kann dieses jetzt laufen lassen (natürlich auch via Kopfhörer). Nun nehme man ein Feuerzeug und ein Streichholz und zündet eine Ecke des Briefumschlags an. Meist kann man den Brief noch eine ganze Weile in der Hand halten und der Flamme zusehen, die so langsam vom Umschlag in den Brief vordringt und die Buchstaben Stück für Stück verbrennt. Allein diesen Moment finde ich fast so wichtig wie das Schreiben des Briefes. Ich fühle mich immer als ob eine Last von mir genommen wird, denn die Gefühle, die in mir schlummerten sind erst auf dem Papier angekommen und werden nun von der Flamme vernichtet. Den brennenden Brief nun auf einem feuerfesten Untergrund ausbrennen lassen. Damit der Brief und alle Energien dort nicht liegen bleiben, einfach die Asche aufsammeln und in ein fließendes Gewässer kippen. Wenn ihr keinen Bach oder Fluss in der Nähe habt, dann funktioniert es auch die Asche in die Toilette zu kippen und einmal die Spülung zu betätigen. Wichtig ist nur, dass es von uns wegfließt.
Wenn also mal wieder Gefühle in Euch schlummern und ihr nicht wisst wohin damit, weil ihr kein Gespräch wollt, dann probiert doch einfach mal aus einen Brief zu schreiben. Und zwar so wie euch der Schnabel gewachsen ist. Ohne Regeln und ohne Wertung.
P.S.: Ich schreibe am Wochenende auch wieder einen. Weil da einiges in mir für Unruhe sorgt, was da nicht rein gehört. Und weil das einfach aus meinem System raus muss.
Eine schöne Idee – ich wünsche Dir erfolgreiches Schreiben und ein befreiendes Let Go 😉