Sei präsent

Sei präsent. Diese banalen zwei Wörter haben mich am Wochenende im Seminar Die Kunst, Dein Ding zu machen berührt. Ohne Frage, ich höre sie nicht zum ersten Mal. Sei präsent klingt herrlich banal. Und irgendwie auch ein bisschen wie sei brav, sei anständig, sei höflich. Ich höre diese beiden Wörter und so schnell wie sie in einem Ohr landen, pfeifen sie durchs andere wieder hinaus. Zu Recht fragst Du Dich jetzt warum mich das dann berührt hat, wenn ich sie so bedeutungslos dahin schreibe. Wie so oft im Leben brauchen Dinge ihre Zeit, bis sie wirklich ankommen. Und das ist genau hier der Fall. Vermutlich musste ich dieses Seminar ein zweites Mal besuchen um es zu verstehen. Schließlich gibt es genug anderen Input, auf den ich mich konzentrieren kann.

 

Doch dieses Mal sind ganz andere Sachen bei mir hängen geblieben. Sei präsent! Was soll das schon heißen? Immer und in jedem Moment da sein. Klar, das sind wir doch alle. Da wo wir sind, sind wir. Wenn ich am Schreibtisch sitze, sitze ich am Schreibtisch und bin nicht im Park. Wie auch? Aber präsent sein ist eben nicht präsent sein. Und nein, jetzt wird es nicht philosophisch. Bleib bei mir. Präsent sein ist so viel mehr wie die körperliche Präsenz. Präsent sein mit jeder Faser ist was ganz anderes. Mit Deiner vollen Aufmerksamkeit da sein. Körperlich, geistig und mit dem Herzen. Okay, vielleicht wird es doch ein bisschen philosophisch. Aber nur ein kleines bisschen.

 

Wie oft sind wir Situationen, in denen wir eben nicht präsent sind. Ich bin ganz ehrlich, bei mir sind es sicherlich weit über 90 Prozent des Tages, an denen ich nicht voll präsent bin. Und vermutlich ist diese Zahl eine reine Untertreibung. Präsent sein ist das absolute Gegenteil von Multi-Tasking. Präsent sein ist Single-Tasking. Einer Aufgabe ganz exklusiv die Aufmerksamkeit zu schenken fällt mir unglaublich schwer. Wenn ich im Büro sitze und einen Anruf bekomme, bei der eine Firma ihre Dienstleistung anbietet, bei der ich von vorne raus weiß, dass ich sie nicht benötige, lese ich meine E-Mails weiter. Wenn ich abends vor dem Fernseher sitze, greife ich zum Handy und surfe noch ein bisschen bei Facebook oder sammle Karotten im App-Spiel. Das sind die banalen Beispiele. Wenn ich am PC eine Datei speichere und es mal wieder länger braucht, switche ich zurück in den Posteingang und mache da weiter um mich dann dort wieder rauszureißen um zu meiner mittlerweile gespeicherten Datei zurückzukehren. Das ist alles purer Quatsch. Ich überfordere mein Hirn, in dem ich so sprunghaft von A nach B wechsele und weder A noch B meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenke. Und dabei bin ich auch noch stolz, dass ich so extrem multi-tasking-fähig bin. Wenn ich mit meinem Freund auf dem Sofa sitze um den Tag zu besprechen, läuft nebenher schon der Fernseher und dann verzögert sich seine Antwort auf meine Frage. Und das liegt nicht daran, dass Männer angeblich weniger multi-tasking-fähig seien als Frauen. Nein, es liegt daran, dass wir beide nicht voll und ganz präsent sind.

 

Die letzten beiden Tage habe ich mich sehr stark bemüht präsent zu sein in allem was ich tue. Scheiße, das ist verdammt schwer. Ich habe tatsächlich den Fernseher ausgeschaltet, wenn ich zum Handy gegriffen habe. Ich habe mir überlegt ob ich jetzt wirklich das nächste Level erreichen will oder ob mir die Sendung wichtiger ist. Oder ist mir die Fernsehsendung überhaupt noch wichtig oder läuft die halt, weil ich die irgendwann mal toll fand und es eine Gewohnheit geworden ist?

 

Da fiel mir auf, dass präsent sein auch heißt genau hinzugucken was man wirklich will. Und wem und was man wirklich seine Aufmerksamkeit schenkt. Dabei wurde mir mal wieder ganz bewusst, dass ich (zumindest im Privatbereich, im Job kann das schwieriger sein) nicht ans Telefon gehen muss, wenn es klingelt, wenn ich gerade mit voller Aufmerksamkeit etwas andere mache. Ich kann mir in jedem Moment überlegen was jetzt wichtig ist. Ist es wichtig die Priorität des anderen zu würdigen, der mich gerade anruft oder mit dem weiter zu machen, was mir gerade wichtig ist und dann zurück zurufen, wenn ich damit fertig bin. Oder einen festen Telefontermin auszumachen. Puh, diese Erkenntnis ist für mich gerade ziemlich harte Kost. Für mich, die gerne immer für jeden da ist. Die unglaublich viel Freude an den unterschiedlichsten Dingen hat. Die lernbegeistert ist und total gerne Neues ausprobiert. Kann ich ja auch alles machen, aber eben nicht zeitgleich.

 

Wenn im Büro nun das Telefon klingelt und ich rangehe, dann stehe ich von meinem Stuhl auf und telefoniere im Stehen. Warum? Weil ich dann nichts anderes gleichzeitig machen kann (ich bin mindestens ein Meter von meiner Tastatur entfernt). Wenn ein Kollege zu mir an den Platz kommt, während ich gerade in eine Aufgabe vertieft bin, sage ich ihm kurz und knapp, dass ich nachher auf ihn zukomme und kehre sofort zu dem zurück, was meine Aufmerksamkeit hat.

Im Gespräch mit meinem Gegenüber drehe ich den Körper zu der Person und schaue sie an. Das ist präsent sein. Und ja, wie schwer ist das, wenn einem jemand etwas langweiliges erzählt, nicht doch nach dem Handy zu greifen und die WhatsApp Nachricht anzusehen, die gerade reinkam. Aber wie unhöflich ist das denn bitte? Es sei denn es geht mal nicht anders, dann entschuldigt man sich, dass man kurz unterbrechen muss um das Handy zu checken, wenn eben das Kind zum ersten Mal mit Babysitter alleine zu Hause ist. Denn solche guten Gründe versteht jedes Gegenüber.

Sei präsent heißt für mich eben nicht nur jedem Menschen oder jeder Sache die volle Aufmerksamkeit zu schenken, sondern eben auch mir genau zu überlegen welche Menschen und Aufgaben es mir wert sind, dass sie meine volle Aufmerksamkeit bekommen.

 

Und all das auszusortieren oder zu minimieren, auf das dies nicht zutrifft. Das merkst Du übrigens ganz automatisch mit der Zeit, wenn Du Dich mit Menschen umgibst und es Dir unglaublich schwer fällt die Aufmerksamkeit bei der Person zu belassen. Oder bei einer bestimmten Sache. Ganz schön cool zu wissen, dass wir einen solchen Präsenzometer immer bei uns haben.

 

Und dennoch bin ich erschrocken, wie oft ich mehrere Dinge gleichzeitig mache. Und all das nur mit einem Ziel: möglichst viel zu schaffen. Nicht präsent zu sein heißt damit auch sich konstant zu überfordern. Denn unser Geist kann da nicht mithalten, auch wenn ich mir einbilde, dass mein Kopf das ganz gut kann. Fehlinterpretation. Denn ein Burnout ist nichts anderes als ein zu schnelles Tempo.

 

Ich bin der festen Überzeugung, dass es Dir auch nicht leichter fällt als mir präsent zu sein. Ich strebe es immer wieder an und Du sicherlich auch, aber wie oft greifen wir dann eben doch wie ferngesteuert zum Smartphone. Oder öffnen schnell einen neuen Reiter im Internet während die andere Webseite noch lädt. Warum können wir solche Momente so schlecht als gut gemeinte Pause annehmen. Angeblich passiert doch nichts ohne Grund. Also sind auch solche Zwangspausen kein Zufall.

 

Ich habe die Entscheidung getroffen präsenter zu sein. Und ich weiß, dass ich damit klarkommen muss, Rückschläge zu haben. Aber ich weiß auch, dass es machbar ist. Und dass der Mensch, der am meisten davon profitiert, ich bin.

 

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